Im Schnellzug nach Haifa »Wer die blutigen Konflikte zwischen dem israelischen Staat u. d. Palästinensern verstehen will, der muss dieses Buch lesen.« FRR

Buchseite und Rezensionen zu 'Im Schnellzug nach Haifa »Wer die blutigen Konflikte zwischen dem israelischen Staat u. d. Palästinensern verstehen will, der muss dieses Buch lesen.« FRR' von Gabriele Tergit
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Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:208
EAN:9783895614774

Rezensionen zu "Im Schnellzug nach Haifa »Wer die blutigen Konflikte zwischen dem israelischen Staat u. d. Palästinensern verstehen will, der muss dieses Buch lesen.« FRR"

  1. Über die Geburt des Staates Israel

    REZENSION – Seit 2016 veröffentlicht Literaturkritikerin Nicole Henneberg Werke der deutsch-jüdischen Autorin und Journalistin Gabriele Tergit (1894-1982) in ausführlich kommentierten Neuausgaben. Im Februar erschien mit Hennebergs Biografie „Gabriele Tergit. Zur Freundschaft begabt“ erstmals eine umfassende Würdigung der zu Unrecht vergessenen Schriftstellerin. Nach einigen Romanen und ihren Erinnerungen folgte nun beim Verlag Schöffling & Co im August mit „Im Schnellzug nach Haifa“ die Neuausgabe einer von Tergit in den 1930er Jahren während ihres Exils in Palästina verfassten Reportagen-Sammlung. Diese war zwar in Teilen schon 1996 unter demselben Titel veröffentlicht worden, wurde jetzt aber von Henneberg um 19 bisher unveröffentlichte Kapitel aus einem im Marburger Literaturarchiv archivierten Manuskript ergänzt. Wurden die geschilderten Episoden schon vor 90 Jahren verfasst, geben sie auch heute noch Aufschluss über die aktuelle Problematik des Staates Israel.
    Anfang März 1933 hatte Gabriele Tergit sich durch Flucht in die Tschechoslowakei dem Nazi-Regime entziehen können. „Als bekannte liberale jüdische Journalistin, die oft über die nationalsozialistische Gewalt berichtet hatte, stand sie auf den schwarzen Listen ganz oben“, liest man im Nachwort der Herausgeberin. Erst im November folgte Tergit ihrem Ehemann nach Palästina, der nach Auflösung der Berliner Wohnung dort bereits als Architekt arbeitete. Im Gegensatz zu den zionistischen Auswanderern, die voller Freude ins „Gelobte Land“ zogen, fürchtete sich Tergit allerdings vor Palästina, vermisste sie doch jetzt schon das niveauvolle Berliner Kulturleben. Doch „anders als Tergit befürchtet hatte, war sie vom ersten Tag an von diesem unbekannten Land fasziniert, das auf sie einstürmte, an ihr zerrte und sie als Schriftstellerin und Journalistin herausforderte. Sie … begann, durch das Land zu fahren, mit Bus oder Sammeltaxi, und zu erzählen, was sie sah.“
    Ihre Eindrücke, die sie zwischen 1933 und 1938 auf ihren Fahrten durch Städte, Siedlungen und Kibbuze sowie bei ihren Begegnungen mit Arabern, längst ansässigen und neu zugewanderten Juden aus aller Welt hielt die gelernte Journalistin in kurzen Reiseberichten und Porträts einzelner Personen fest. Über 60 dieser Reportagen sind im Band „Im Schnellzug nach Haifa“ zu lesen. Darin beschreibt Tergit als unmittelbare Augenzeugin die staunenswerte Vielfalt, aber auch Kontraste dieses jungen „Vielvölkerstaats“ zur Zeit der deutschen Einwanderungswelle noch 15 Jahre vor der offiziellen Staatsgründung Israels: Lebten die Araber teilweise noch in Zelten und die längst ansässigen „ostjüdischen“ Einwanderer in bäuerlichen Siedlungen nach dem Muster sowjetischer Kolchosen, begannen die neuen, in der Landwirtschaft unerfahrenen Emigranten aus Deutschland, sich als „Eierdeutsche“ zumindest in der Hühnerzucht zu versuchen: „Hinterm Haus ist der Hühnerhof. Daran ist das alte Schild: 'Dr. W., Wundarzt und Geburtshelfer'. Und am Hühnerstall ist das alte Schild mit der Autonummer. … Es sind zehn Ärzte und sieben Rechtsanwälte und eine Menge Akademikerinnen, und die Mehrzahl sind Kaufleute. … der eine ist Inhaber eines der schönsten Luxusgeschäfte in Berlin gewesen.“
    Doch nach fünf Jahren in Palästina stellte sich angesichts scheinbar unvereinbarer Gegensätze für die emanzipierte Bildungsbürgerin Tergit die Frage: Wer sind „die Juden“? Wie viele Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Ost- und Westjuden? Kann es ein einheitliches Bewusstsein geben zwischen den unterschiedlichen Siedlergruppen? „Das innere Drama dieser Gesellschaft nimmt hier, in der großen Schwierigkeit, eine gemeinsame Identität zu schaffen und sich als Staat zu definieren, seinen Anfang.“
    So geben Tergits Reportagen, im Band „Schnellzug nach Haifa“ ergänzt um das ausführliche Nachwort der Herausgeberin, nicht nur einen lesenswerten, mit der Objektivität der erfahrenen Journalistin verfassten Augenzeugenbericht über Palästina in den 1930er Jahren. Vielmehr lässt das Buch staunen, wie Tergits Geschichten noch 90 Jahre später Aufschluss geben über das aufgrund widerstrebender Interessen unauflösbare Grundproblem im Staat Israel zwischen zionistisch-konservativen und aufgeklärt-modernen Juden sowie über die „jüdische Urangst, vernichtet zu werden“, weshalb Israel wohl niemals Frieden finden kann. „So wie die Heimstatt der Juden aus dem Nichts erschaffen wurde, kann sie auch jederzeit wieder verloren gehen - das ist das israelische Trauma“, schreibt die Herausgeberein – eine Erkenntnis, die Gabriele Tergit im Jahr 1938 veranlasste, ihr weiteres Leben in London zu verbringen.